Bürger auf die Baracken! Pamphlet
für eine andere Stadtplanung Papiermüll fliegt mir in
menschenleerer Atmosphäre um die Beine, während strahlend weiße Bauten die
Umgebung schmücken. Ausgestorben ist diese Stadt, obschon sie eigentlich allen
Grund zum Feiern hätte – oder zumindest zum Konsumrausch. Diese Situation ereignete sich
in Binz auf Rügen, könnte sich indes überall in Ost- Deutschland abspielen.
Doch von Anfang an erzählt: Mit viel Mühe, Sorgfalt und solidarischen
Bundesgeldern ist man seit der Wiedervereinigung damit beschäftigt,
heruntergekommene Stadtkerne wieder instand zu setzen. DDR-Buden wurden
abgerissen, des Arbeiters Ästhetik inkl. sozialisch-realistischer Kunst am Bau
wieder schick gemacht, teilweise um westliche Gebäude ergänzt und ebenfalls
die prunkvollen Bauten aus preußischer Zeit renoviert. Alles in allem ergaben
sich seither wunderschöne Kleinstädte, die den Reisenden zum Verweilen laden,
jedoch vor allem auch die Einheimischen zum Flanieren, zum Leben in der Straße
und zum Shopping vor Ort. Doch niemand ist da! Erfreuen
sich Ostdeutsche etwa nicht des Einkaufens in einer Weise, wie Westler es
pflegen? Findet hier eine klandestine Revolution gegen die Welt des Konsums
statt? Nein, diese ist hier genauso beliebt wie im Westen und alle sind bereits
eingezogen, doch spielt sich diese Welt nicht downtown ab. Denn während die
beschriebenen Stadtkernsanierungen stattfanden, begann man ebenso die Autobahn
mit Einkaufszentren zu säumen. Viele Parkplätze, viel Geschäfte, viel
billiger. Da stehen sie nun, die Malls, ziehen die Ossis aus ihren Städten und
ich bin entsetzt über die Einfältigkeit! Wir brauchen eine neue
Stadtplanung – sowohl für den Osten als auch für den Westen, wenn dort nicht
ähnliche Zustände einkehren sollen. Ich will lebendige Städte! Ich will Städte,
in denen man in netter Umgebung spazieren, vielfältig einkaufen und sich wohlfühlen
kann. Wer einmal den Fuß (sic!) auf US-amerikanischen Boden außerhalb New
Yorks gesetzt hat, weiß um die abgefuckten Städte dort. Jegliche Lebendigkeit,
die es in den auch dort teilweise historisch gewachsenen Städten gab, opferte
man den Malls, in deren steriler Langweile man wirklich keine Wunder erwarten
darf, es sei denn, man empfindet den immer gleichen Stock an Borders, Starbucks,
Gaps usw. als bereichernd. Ich will gar nicht behaupten,
dass Fußgängerzonen eine deutsche Erfindung seien, aber diese in den letzten
Jahrzehnten in fast jeder (Klein-) Stadt eingerichtet zu haben, ist wirklich
grandios! Nur was kann man tun, um diese zu erhalten, zu pflegen, ihren Wert
noch zu steigern und deren Aussterben zu verhindern? Welcher struktureller Maßnahmen
bedarf, um das hiesige urbane Bild zu wahren? Welche womöglich tiefergehenden
Schritte als die Schaffung von kostenlosem Parkraum sind zu beschreiten? Sich
mit einem Geschäft nicht in den zentralen Stadtbereichen niederlassen zu können,
liegt zum einen an den extrem hohen Mietkosten, die lediglich von Ladenketten
bestritten werden können. Die Folge davon, bestehend aus Parfümerien,
Handy-Shops und Bäckern, offenbart sich täglich. Anstatt staatlicherseits die
Vermieter zu niedrigeren Preisen zu zwingen, wird man sich mit joint efforts,
beispielsweise innerhalb einer „City Partnerschaft“, der Handelskammer o.ä.,
auf diese einigen müssen, um nicht in der Zukunft Leerstände beklagen zu müssen,
sondern um neue Geschäfte anzulocken und anzusiedeln sowie um eine
Durchmischung der Branchen zu erreichen. Einiges Gewicht in der
Stadtplanung geht offensichtlich vom Geld aus: Fußwege sollen gepflastert,
Blumetöpfe bepflanzt und auch kulturelles Rahmenprogramm angeboten werden.
Diese Ausgaben zu tätigen, fällt dann immer schwerer, wenn in Zeiten der
„Sanierung des Bundeshaushaltes“ Kosten auf die Kommunen und Gemeinen abgewälzt
werden, diese dadurch fast erdrückt werden und jeglichen Gestaltungsspielraum
vor Ort verlieren. Schluss mit bunten Blumentöpfen im Kurpark... Neue Finanzen
müssen also her! Die Kommunen dürfen nicht ungebührlich eingeschränkt
werden! Wo schon die Rede von „mehr
Geld für alle“ ist, würde es dem Einzelhandel, um den sich hier ja indirekt
vieles dreht, zweifelsohne nicht zum Schaden gereichen, würden die Bürger
(diesmal vor allem die Armen und nicht die ohnehin Privilegierten) finanziell
entlastet würden und ihr Geld nicht mehr für Steuern, sondern den Konsum
ausgeben könnten. Um das urbane Antlitz zu prägen,
sollte Strukturpolitik nicht ungenutzt bleiben: Die Malls auf der grünen Wiese
sind übrigens nicht vom Himmel gefallen und von Maulwürfen freigelegt wurden
sie eben so wenig. Man kann es also auch anders haben. Das setzt voraus, dass
die Verwaltung nicht immer neue Flächen dafür zur Verfügung stellt. Nicht
umsonst werden in Deutschland mit größter Präzision Flächennutzungspläne
entworfen; was drinsteht, ist Folge des Meinungsbildungsprozesses in der
jeweiligen Volksvertretung... Ergo kann ein Staples auch innerorts
entstehen und dort Kunden anlocken, anstatt die Landschaft zu zersiedeln. Ferner
muss auch die Privatisierung des öffentlichen Raumes, die ja in der westlichen
Welt dieser Tage an politischer Popularität unablässig hinzugewinnt, auch
nicht blindäugig mit- und nachgemacht zu werden! Klar: Was kann in den Augen
eines Geschäftsinhabers schöner sein als das Wegprügeln desjenigen Penners
vor der Tür, der ohnehin schon seit Tagen und Nächten dort unnütz rumsitzt
und gewiss auch noch die Kundschaft vergrämt? Aber nicht nur Penner sollten
weiterhin „möglich“ (also unverteufelt, sondern eher geholfen) sein,
sondern auch politische Betätigung im weitesten Sinne. Improvisationstheater, südamerikanisches
Panflötenspiel und Demos können, wenn auch teilweise nach Genehmigung, auf öffentlichen
Flächen immer stattfinden, wenn die Bürger darauf Lust haben – auf privaten
nicht ohne Weiteres. Der Politik fehlt es also ebenso wenig an Macht wie sie
nicht der Wirtschaft unterworfen ist; sie muss ihre Chancen nur sehen und
ergreifen! Schließlich muss der urbane Bürger
womöglich umdenken: Momentan werden sich in den Köpfen der Shoppenden folgende
Szenarien abspielen: „Ich will kaufen, möglichst viel, möglichst billig,
aber gleichzeitig so luxuriös wie möglich. Dies will ich lange und ungehemmt.
Auf Qualität lege ich keinen Wert, weil ich mir ohnehin ein neues, moderneres
Paar Schule gekauft haben werde, bevor das alte kaputt ist und Auswahl ist mir
auch egal, weil ich mich ja sowieso dem unterwerfe, was grad modern ist.“
Kreisch!! Ich will Abwechslungsreichtum- Kreativität- Fülle- Qualität-
Verschiedenheit- wirklichen Service- nachbarschaftliche Einkaufsgelegenheiten-
ein Flair wie beim Obsttürken- Wird deutlich, worum es mir geht?
Mannigfaltigkeit! Wirkliche Auswahl! Reichtum an Leben!
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